Übermaßpassung, Übergangspassung, Spielpassung. Diese drei Passungsarten solltet ihr nach dem Lesen dieses Beitrags kennen und definieren können. Aber zuvor ist es sinnvoll zu verstehen, was Passungswahl überhaupt ist und was man dabei beachten muss.
Warum ist die Passungswahl wichtig?
Die Auswahl einer Passung erfolgt klugerweise vor der Berechnung des Lagerspiels, da diese sich unmittelbar auf das Lagerspiel auswirkt. Sie ist somit das A und O im Maschinenbau.
Die Passungswahl, auch Lagerpassung genannt, ist sehr wichtig, um im Betrieb Relativbewegungen zwischen Innenring und Welle sowie Außenring und Gehäuse zu verhindern oder zu ermöglichen.
Bei zu geringer Überdeckung treten ungewollte Relativbewegungen potenziell zwischen den Passflächen des Lagers sowie der Welle bzw. dem Gehäuse auf und verlaufen in radialer bzw. Drehrichtung oder axialer Richtung. Bei diesen Relativbewegungen kann es zu Schäden an Welle, Gehäuse sowie am Lager kommen, die dann zu teuren bzw. aufwändigen Reparaturmaßnahmen führen. Neben dem Lager selbst müssen dann auch Welle und Gehäuse gegebenenfalls ausgetauscht werden. Es gibt Fälle, bei denen sich das Lager jedoch frei bewegen soll, zum Beispiel bei Loslagern. Dabei muss sichergestellt sein, dass ein ausreichendes Spiel zwischen den Passflächen des Lagers sowie der Welle bzw. dem Gehäuse besteht. Wenn kein Spiel vorhanden ist, besteht die Gefahr, dass das Lager bei Temperaturschwankungen mit einhergehenden Längendehnungen von Gehäuse und/oder der Welle blockiert.
Eingeschränkt werden muss im Hinblick auf die Passungswahl, dass alle Lager mit Linienkontakt (Rollenlager) potenziell auch unmittelbar im Gehäuse und/oder auf der Welle laufen können. Die Lagerpassung ist auch in solchen Fällen sehr wichtig, da über diese ein direkter Einfluss auf das Lagerspiel genommen wird.
Eine korrekte Ausführung der richtigen Passung ist ebenfalls unverzichtbar. Ganz besondere Aufmerksamkeit muss hier der geometrischen Form der Wellen- und Gehäuselagerpassung gewidmet werden, denn alle Geometriefehler übertragen sich gegebenenfalls auf Innenring sowie Außenring. Sie können zu Schwingungen, Laufgeräuschen und schlussendlich zu einem Lagerschaden führen (siehe Liste „Lagerschäden durch falsche Passung“). Um dies zu vermeiden, ist es sinnvoll, die Wahl einer Übermaß-, Übergangs- oder Spielpassung erst nach sorgfältiger Analyse der Betriebsbedingungen (und der umgebenden Bauteile) zu fällen. Dabei sollte man sich strikt an die Empfehlungen des Wälzlagerherstellers nach Katalog halten.
Lagerschäden durch falsche Passung:
• Risse in der Laufbahn, frühzeitiges Flaking und Versatz der Laufbahn
• Abrieb an Laufbahn und Welle oder Gehäuse durch Kriech- und Mikrokorrosion
• Fressen verursacht durch negatives Lagerspiel (Vorspannung)
• Geräuschentwicklung und Verschlechterung der Rundlaufgenauigkeit als Folge von Laufbahndeformation
Lagerschäden durch falsche Passung sind nicht nur vielfältig, sondern zum Glück auch vermeidbar.
Zentrale Kriterien sind an dieser Stelle beispielsweise das Wellen- und Gehäusematerial, die Wandstärke sowie die Oberflächenbeschaffenheit. Hinzu kommen die Betriebsbedingungen des Wälzlagers – dazu zählen Faktoren wie die Belastungsart, -größe und -richtung, die Drehzahl sowie die Temperatur.
Übermaßpassung
Im Allgemeinen stellt die Übermaßpassung eine effektive Befestigungsart der Passfläche der Lagerringe und Welle bzw. Gehäuse dar. Wie die Abbildung zu „Radiallast und Lagersitz“ zeigt, ist eine Übermaßpassung bei Lagerringen mit umlaufender Belastung erforderlich – dies betrifft sowohl den Innenring als auch den Außenring. „Lagerringe mit umlaufender Belastung“ bezieht sich auf Lagerringe, die rotierenden Belastungen relativ zu ihrer radialen Richtung ausgesetzt sind. Starke Übermaßpassungen sind zudem für Betriebsbedingungen mit hohen Vibrations- oder Stoßbelastungen, bei Hohlwellen und dünnwandigen Gehäusen sowie bei Anwendungen mit Gehäusen aus Kunststoff zu empfehlen. Ferner sind Passungen mit geringer Überdeckung mitunter für Anwendungen mit hoher geforderter Laufgenauigkeit oder beim Einsatz von kleinen oder dünnwandigen Lagern zu empfehlen. Zumeist muss das Lager bei einer Übermaßpassung auf die Welle oder das Gehäuse gepresst werden, weshalb die Montage und Demontage recht aufwendig werden kann. Voraussetzung ist also, dass zum Beispiel die Welle ein bisschen größer als der Innendurchmesser d des Wälzlagers ist. Ein weiterer genereller Nachteil der Übermaßpassung besteht in der Reduzierung des Lagerspiels bzw. Betriebsspiels.
Übergangspassung
Neben der Übermaßpassung gibt es die Übergangspassung, die zum Einsatz kommt, wenn in einer Anwendung Toleranzen gegeben sind, die ein Spiel genauso wie ein Übermaß erlauben.
Spielpassung
Bei nicht trennbaren Lagern, wie z. B. Rillenkugellagern, wird entweder für den Innenring oder den Außenring eine Spielpassung empfohlen. Dabei wird der Lagerring, der einer Punktbelastung ausgesetzt ist, mit einem Lossitz versehen. Der Durchmesser des Lageraußenrings ist kleiner als der minimale Durchmesser des Gehäuses oder der Innenringdurchmesser ist größer als der maximale Wellendurchmesser. Der Zusammenhang zwischen Lagersitz und Belastungsart ist in der Abbildung dargestellt.
Abbildung | Lagerdrehrichtung | Ringbelastung | Lagersitz |
Feststehende Last | Innenring dreht Außenring steht | Umlaufende Last für den Innenring Punktlast für den Außenring | Innenring: Festsitz Außenring: Lossitz |
Umlaufende Last | Innenring steht Außenring dreht | ||
Feststehende Last | Innenring steht Außenring dreht | Punktlast für den Innenring Umlaufende Last für den Außenring | Innenring: Festsitz Außenring: Lossitz |
Umlaufende Last | Innenring dreht Außenring steht |
Radiallast und Lagersitz: Hier seht ihr den Zusammenhang zwischen Belastungsart und Lagerpassung.
Ermittlung der Lagerpassung
Die Überdeckung kann auf Basis der Durchmessertoleranzen der Wellen- und Gehäusebohrungen und der Toleranzen der Lagerringe ermittelt werden. Empfohlene Werte für die Überdeckung und mögliche Passungen für verschiedenste Anwendungsfälle lassen sich in der Regel in entsprechenden Tabellen, zum Beispiel im NTN-Katalog, finden.
Minimale und maximale Überdeckung
In einigen Anwendungen ist die Berechnung einer minimalen und maximalen Überdeckung zwischen Innenring und Welle bzw. Gehäuse und Außenring notwendig. Dabei sollte im Rahmen der minimalen Überdeckung berücksichtigt werden, dass die Überdeckung durch vier zentrale Faktoren verringert wird.
Verringerung der Überdeckung durch:
• Radiale Belastungen
• Differenzen zwischen Lagertemperatur und Umgebungstemperatur
• Form-/Oberflächenänderung der Passflächen
• Verformung
Die Innen- und Außenringspannung sind bei der Wahl der Passungen zu beachten.
Der erste Faktor, der im Detail betrachtet wird, ist also die Tatsache, dass sich die Überdeckung zwischen Innenring und Welle verringert, wenn eine Radiallast auf das Wälzlager einwirkt. Dieser Einfluss, welcher im Folgenden als erforderliche effektive Überdeckung entsprechend der Radiallast ∆dF bezeichnet wird, kann anhand von Formel 7 und Formel 8 berechnet werden.
Formel 7
Fr ≤ 0,3 Cor
∆dF = 0,08 (d x Fr /B)1/2 N
Formel 8
Fr > 0,3 Cor
∆dF = 0,02 (Fr /B) N
Die Formeln dienen der Berechnung der Verringerung der Überdeckung durch eine radiale Belastung △dF.
∆dF = erforderliche effektive Überdeckung entsprechend der Radiallast μ m
d = Durchmesser der Lagerbohrung, mm
B = Breite des Innenrings, mm
Fr = Radiallast N {kgf}
Cor = Statische Tragzahl N {kgf}
Eine Handvoll Variablen kommt für die Berechnung von ∆dF zum Einsatz.
Die Überdeckung zwischen Innenringen und Stahlwellen wird durch Temperaturerhöhungen (Differenz zwischen Lagertemperatur und Umgebungstemperatur, ∆T) aufgrund des Lagerbetriebes verringert. Die Berechnung der minimal erforderlichen Überdeckung in solchen Fällen ist in Formel 9 dargestellt.
Formel 9
∆dT = 0,0015 × d × ∆T
∆dT = erforderliche, effektive Überdeckung für
die Temperaturdifferenz in μ m
∆T = Differenz zwischen Lagerinnenringtemperatur und
Umgebungstemperatur in °C
d = Durchmesser der Lagerbohrung in mm
∆dT wird mit dieser Formel berechnet.
Des Weiteren muss bei der Passungswahl beachtet werden, dass die Passfläche infolge einer Pressmontage – anders als bei einer Wärmemontage – möglicherweise geglättet wird. Dies bedeutet zugleich, dass sich die Überdeckung verringert. Das Ausmaß, in dem das Übermaß abnimmt, hängt von der Rauheit der Passflächen ab. Im Allgemeinen muss mit einer Reduzierung des Übermaßes gerechnet werden (s. „Reduzierung der Überdeckung“).
Reduzierung der Überdeckung:
• bei geschliffenen Wellen: 1,0~2,5 μ m
• bei gedrehten Wellen: 5,0~7,0 μ m
Wie stark sich die Überdeckung verringert, hängt von der Art der Welle ab.
Die bisherigen Kriterien bezogen sich auf die minimale Überdeckung, nun kommt jedoch ein Aspekt hinzu, der die maximale Überdeckung betrifft. Und zwar führt der Einsatz von Lagerringen mit Überdeckung zu Spannungen und Druckbeanspruchung an der Passfläche. Ist die Überdeckung zu groß – hierbei muss auf jeden Fall die vorgegebene Obergrenze von ca. 127 MPa im Auge behalten werden – darf man sich über Beschädigungen der Lagerringe und damit einhergehend eine kürzere Lebensdauer nicht wundern. Folgen einer zu hohen Überdeckung können Risse im Innenring und ein Brechen der Führungsborde darstellen.
Passungswahl bei Materialien mit starker Wärmeausdehnung
Welle und Gehäuse können aus anderen Werkstoffen als Stahl bestehen. Insbesondere bei Werkstoffen mit hohen Wärmeausdehnungskoeffizienten (zum Beispiel Aluminium) muss beachtet werden, dass sich die Passung von Innenring und Welle respektive Außenring und Gehäuse verändert, wenn die Temperatur während des Betriebes des Lagers steigt. Weil sich Materialien wie Aluminium schneller als beispielsweise Stahl ausdehnen, können diese nur bedingt durch festere Passungen ausgeglichen werden. Bei zu extremen Temperaturschwankungen sollte beim Gehäuse auf Werkstoffe mit vergleichbaren Ausdehnungskoeffizienten wie Gussstahl ausgewichen werden.
Formel 10
∆dTE = (∝1-∝2) × d × ∆T
∆dTE = Veränderung des Übermaßes wegen unterschiedlicher Ausdehnungskoeffizienten
∝1 = Ausdehnungskoeffizient des Wälzlagers, 1/℃
∝2 = Ausdehnungseffizient von Welle und Gehäuse, 1/℃
d = Bezugsdurchmesser der relevanten Passung in mm
∆T = Temperaturanstieg bei Lagerbetrieb
Ausdehnungskoeffizienten einzelner Werkstoffe müssen bei der Passungswahl berücksichtigt werden. Grund dafür ist, dass andere Materialien als Stahl auch andere Ausdehnungskoeffizienten besitzen.
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