Wenn ein Wälzlager nach geraumer Zeit trotz korrekter Lagerauswahl, Schmierung und Handhabung „seinen Geist aufgibt“, handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen Ermüdungsschaden. Dabei tritt der Ermüdungsschaden ein, wenn die Ermüdungslebensdauer eines Wälzlagers erreicht ist. Auch bei größeren Belastungen ist nach gewisser Zeit der Eintritt eines klassischen Ermüdungsschadens möglich. Dennoch tritt solch ein „natürlicher“ Ermüdungsschaden verhältnismäßig selten auf – erfahrungsgemäß entstehen Lagerschäden durch Mangelschmierung oder fehlerhafte Montage erheblich häufiger.
Das wohl zentrale Merkmal des Ermüdungsschadens ist eine Ermüdung im Wälzkontakt, die durch die sich wiederholende Beanspruchung zwischen Wälzkörpern und den Lagerlaufbahnen zustande kommt. Charakteristisch für die Ermüdung im Wälzkontakt sind Gefügeveränderungen, die man in einem Schnittbild visuell erkennbar machen kann. Darüber hinaus gilt, dass der Ermüdungsschaden im Wälzkontakt zu Rissbildung unter der Oberfläche sowie Werkstoffausbrüchen an der Oberfläche (auch Spalling bzw. Flaking genannt) führt. Ebenfalls charakteristisch für den Ermüdungsschaden ist abgeblättertes Wälzlagermaterial. Es lassen sich zwei Formen von Ermüdungsschäden anführen: zum einen eine unterhalb der Oberfläche beginnende Ermüdung (Subsurface initiated fatigue) und zum anderen eine von der Oberfläche ausgehende Ermüdung (Surface initiated fatigue).
Ermüdung unterhalb der Oberfläche
Mit Blick auf die Ermüdung unterhalb der Oberfläche sollte die Schubspannungshypothese von Lundberg und Palmgren Erwähnung finden, die eine Erklärung für das Auftreten von Ermüdungsschäden unterhalb der Oberfläche liefert. Abhängig vom Werkstoff, von der aufgebrachten Last, der Temperatur, der Werkstoffreinheit und dem Gefüge bilden sich Gefügeveränderungen und Mikrorisse. Diese Risse weiten sich dann so stark aus, dass sie die Oberfläche erreichen und an der Oberfläche Material ausbricht. Die entstehenden Materialausbrüche verlaufen meist parallel zur Oberfläche.
Oberflächeninduzierte Ermüdung
Die Schmierung ist essenziell für eine lange Wälzlagerlebensdauer. Eine unzureichende Schmierung führt jedoch zu einem metallischen Kontakt zwischen Wälzkörpern und der Laufbahn. Nichtsdestotrotz kann es auch bei allgemein einwandfreier Schmierung aufgrund von Partikelkontamination, Überlasten oder Hiebmarken zu Eindrückungen mit überhöhten Rändern kommen, die höher als die Schmierfilmdicke (< ≅ 1µm) sind. Neben dem bereits bestehenden Kontakt zwischen Wälzkörpern und Laufbahn rufen diese Eindrückungen zusätzlich einen metallischen Kontakt zwischen den Wälzpartnern hervor. Dieser metallische Kontakt führt zu Einglättungen der Oberflächen (plastische Verformung), welche wiederum Lagerschäden zur Folge haben.
Graufleckigkeit
Eine Art der oberflächeninduzierten Ermüdung stellt die Graufleckigkeit dar, die sich zugleich als Vorstufe von Ausbrüchen und Rissen betrachten lässt. Ihr Name ist Programm, denn Graufleckigkeit erscheint in einem mattgrauen Farbton auf den betroffenen Wälzlagerkomponenten. Sie ist durch flache, winzige und viele Ausbrüche gekennzeichnet und tritt bereits auf, wenn ein Wälzlager einer vergleichsweise geringen Belastung ausgesetzt ist und zugleich Gleitanteile auftreten. Diese Gleitanteile können vermieden werden – unter der Voraussetzung, dass kugelförmige Wälzkörper einer Mindestbelastung von 0,01 C und zylindrische Wälzkörper (die Wälzkörper von Rollenlagern) einer Mindestbelastung von 0,02 C ausgesetzt sind. Allgemein gilt: Je höher die Belastungen sind und je schlechter der Schmierungszustand ist, desto deutlichere Anrisse können am Wälzlager entstehen.
Graufleckigkeit hat nicht nur negative Auswirkungen auf die Lebensdauer des Lagers, sondern auch auf die Geräusche, die vom Lager ausgehen. Darüber hinaus führt Graufleckigkeit zu einem Materialverlust, einer verschlechterten Profilierung und letztendlich zu punktuellen Pressungsüberhöhungen unweit der Oberfläche. Zudem wird die Entstehung von Pitting durch Graufleckigkeit begünstigt. Man kann also sagen, dass zuerst Graufleckigkeit auftritt, die sich später zu Ausbrüchen und schließlich zu Rissen entwickelt.
Wälzlagerschäden lassen sich durch Ermittlung und Messung der Überrollfrequenzen frühzeitig erkennen. Dies passiert mithilfe einer Schwingungsanalyse, die idealerweise mit einer Temperaturüberwachung kombiniert werden sollte, um Lagerschäden frühzeitig zu detektieren. Die frühzeitige Erkennung von Lagerschäden bewirkt Planbarkeit von Stillstands- und Reparaturzeiten von Maschinen. Wälzlagerhersteller wie NTN bieten für die Schwingungsanalyse geeignete Geräte und Beratungen als Serviceleistung an.
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